Entschuldigung, kann ich bitte noch ein paar Group Projects bekommen? Ich habe erst fünf.

So. In der idealen Welt möchte man natürlich die Intervalle der Blogeinträge entsprechend auch verkürzen - was ich auch bestimmt früher oder später schaffe - in der Welt des "ich studiere jetzt wieder, nachdem ich 15 Monate gearbeitet habe" sind manche Dinge noch nicht ganz am smooth laufen. Smooth. Auch so ein Wort, was ich nach Einflussnahme von jemandem auf mich ganz gerne intensiver integrieren möchte. Was ich meine, ist eben dass der oder die Tagesabläufe, die Prozesse, die Aufgaben im Unialltag anders, gar nicht mal mehr, aber verschiedener und teilweise ineffizienter sind, als im Praktikum. Das liegt beispielsweise daran, dass es hier rein zur Organisation viel mehr Emails zu schreiben gibt (Können Sie mir mal das als. pdf schicken? Mein Kalender im Intranet synchronisiert sich nicht bzw. zeigt nicht alle Kurse, können Sie das mal reparieren, bitte? Dergleichen.) oder dass man sich mit der Arbeitsweise und Einstellungsdivergenz anderer Nationalitäten arrangieren muss. Da bestellen einen wechselnde Franzosen 5x ins euphemistisch ausgedrückt "Büro" des BDE, also einer Art Büro der Studentenschaft, die sich beispielsweise mit der Organisation von Parties oder eben der Bestellung von Hoodies beschäftigt. Dieses "Büro" ist für französische Verhältnisse wahrscheinlich «chaleureux» oder «douillet», also gemütlich, für einen Deutschen ist es ein 40qm großer, unterirdisch gelegener Raum, in dem sich zerrissene Pappkartons, Schränke mit nicht oder nur noch halb in den Angeln hängenden Türen, Wein in Tetra-Packs auf verstaubten Tischtennisplatten, bedenklich grünliche Lebensmittelreste und dergleichen so angesammelt haben, dass man den Boden nicht mehr sehen kann und auch nur zwischen halbvollen Aschenbechern und Sofas, die vom Sperrmüll stammen müssen zum Ziel klettern kann. Achso und natürlich stinkt es nach Gras. Was sonst. Jedenfalls bestellen sie Dich dann 5x zu verschiedenen Tageszeiten in besagtes Büro, damit Du endlich den Hoodie abholen kannst, den Du vor 1 1/2 Jahren bestellt und bezahlt hast. Jedes Mal wenn Du dort ankommst, hängen 4-5 französische Studenten ganzkörperchillig auf diesen Sofas, die ich nicht mal mit dem kleinen Finger berühren wollen würde und erklären Dir mit der Kippe in der einen und fuchtelnd mit der anderen Hand in gebrochenem Englisch, darum kümmere sich Henri, Solène oder sonst wer und der schriebe mir dann eine Email - gerade seien sie in einer Besprechung, ich störe jetzt. Das Spielchen haben wir jetzt 5x gemacht, mittlerweile habe ich den Hoodie - und Ihr spätestens im nächsten Beitrag ein schönes Bildchen von ihm. So viel zu Nationalitäten übergreifender, mäßig effizienter Interaktion Teil I. 

Teil II, wie sollte es anders sein und hat sich jeder meiner vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger Kommilitonen an der EBS und an der ESCP schon drauf gefreut: die Gruppenarbeiten. Zählen so und so viel % der Gesamtnote und hat man sich erst mal in der ersten Uniwoche 5 neue abgeholt, weil sonst wäre es nicht lustig. Klassifizieren, prognostizieren oder verformeln kann man den Ablauf sowie meist leider auch das Resultat tatsächlich an der Diversität der zusammengesetzten Nationalitäten - und tatsächlich leider auch an den Nationalitäten selbst. Ohne "den Deutschen" jetzt über den grünen Klee loben zu wollen, aber der stereotypische Deutsche ist wie es ein Prof in zwei meiner Kurse so treffend beschrieb überaus "concerned with grades, which comes from the German job market. Whereas the French guys don't care at all, they made it to ESCP as Grande Ecole, they are set with their life. The Italians care about grading because of perceived fairness, whereas the Chinese only care because of a thing called 'not losing their face'". Das morgens um neun in einem Milaneser Englisch von einem schwulen Mitte Vierzigjährigen und Dein Tag ist gerettet. Eigentlich. Bis Du die Gruppenzusammensetzung siehst. Und hier, lieber Leser, gibt es exakt 3 Varianten: Variante 1 "Jackpot": Du hast nur oder zu 80% Deutsche oder welche von deutschsprachigen Business Schools (ich werfe kurz EBS, WHU, St. Gallen, ZU, Munich Business School, Mannheim in einen Topf, der Vereinfachung wegen) mit vielleicht dem einen Ausreißer-Chinesen, der aber eh überstimmt wird. Bei allem. Variante 2 "semi": die Gruppe ist gemischt, d.h. mit Dir max. noch 1 Deutscher, 2 Französinnen, 1 Ukrainer, 1 Kanadierin, 1 Norwegerin. Naja. Variante 3 (und der Fall in meinem Customer Relationship Management Kurs). "Du hast abgeloost": 3 Inder, 1 Chinese, 1 Japanerin, 1 Singapurianer. Und Du. Bzw. ich. Um es bei dem ganzen echt vorweg zu nehmen: ich bin gegenüber anderen Nationalitäten tolerant, ich arbeite gerne in Gruppen und ich bin auch der Ansicht, dass man in Business Schools Situationen simulieren sollte, mit denen man im späteren Berufsleben konfrontiert werden könnte. So. Was diese Gruppenarbeiten dann aber oft nervig macht, sind krasse Diskrepanzen in der Arbeitseinstellung (habe ich den Case vor dem ersten Treffen wenigstens mal ausgedruckt - von gelesen oder sich potentielle Struktur zum Paper oder der Präsi überlegt haben, sprechen wir noch nicht), von zeitlichen Abläufen (wann teilt man sich das vor welche Deadlines ein, wann antwortet man auf Mails - rischdisch, nicht 3 Tage später und nicht in völlig verwirrtem, kontextlosen und orthographisch bedenklichem Justin Bieber Englisch 'Where are u now?'), wie soll das Endresultat aussehen: knallbunte Präsi mit möglichst vielen Bildchen und anderer Schriftart auf jedem Slide oder sauberer Report mit Deckblatt, Inhaltsverzeichnis, korrekter Zitierweise und Quellenangabe und ohne Rechtschreibfehler. Kann man natürlich nicht aus seiner deutschen Haut und versucht erst mal in allen Gruppen von Typ 2 oder 3 diktatorisch die Erstellung der Präsi oder die Formatierung des Reports an sich zu reißen. Getreu dem Motto "wo der Schaden minimiert werden kann, muss man angreifen". Oder man macht es wie einer der Deutschen in meinem 'Segmentation and Targeting new of consumer Groups' Kurs: meldet sich und sagt, er habe den Kurs ausschließlich gewählt, weil es im Syllabus vorab geheißen habe, man könne die Gruppe selbst wählen und er - plötzlich einer Gruppe fest zugeteilt, die offenkundig nicht nach seinem Gusto war - könne nun kein Projekt mit seinen (deutschen) Freunden machen. Buhu. Aber sehr smart eigentlich und klassisch Deutsch: beziehe Dich auf etwas, was vorab schriftlich zirkuliert wurde und bestehe dann auf Dein vermeintliches Recht, selbst wenn Du Dich damit beim Prof unbeliebt machen solltest oder Deine bloggende Kommilitonin sich 2 Reihen hinter Dir denkt "Alter, ernsthaft? Sind wir im Kindergarten und nölen jetzt alle über einen defizitären, aber organisatorisch halt schwerlich änderbaren Zustand rum?" Das mit den Group Projects bleibt also zumindest unterhaltsam, wenn es schon nicht erfreulich ist. 

 

So. Im folgenden nun noch ein Absatz, der dem geneigten Leser die Verfolgung kaskadischer Themensprünge abnötigen wird, mir aber persönlich am Herzen liegt, so er doch für ein wenig Aufräumung im präfrontalen Kortex, alias Arbeitsspeicher im Großhirn sorgen möge.

Grundanspannung im Ausland. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass ich im Ausland lebend eine Grundnervosität oder ein Grundmisstrauen an den Tag lege, die ich beide in Deutschland nicht habe. Also ich rede hier nicht von meinem per se höheren seelischen und körperlichen Aktivitätslevel, was zur Folge hat, dass ich eigentlich permanent irgendwie am Rumwuseln oder was machen bin oder mir zumindest überlege, was ich noch machen muss oder als nächstes mache. Eine Freundin sagte mir vor ein paar Wochen, sie habe von Natur aus einen höheren Muskeltonus, was das physiologische Pedant sein muss zu dem was meine Mutter mir letzte Woche attestierte: "Du bist halt quirlig und brennst immer auf 300 Umdrehungen." Was ich aber jetzt meine, die ausländische Grundanspannung, rechnet bei vielem oder nahezu allem erstmal damit, dass irgendwas nicht klappt, (Drucken in der Uni - habe ich aber mittlerweile gemastert, yessss!, dass ich in die falsche Métro gestiegen bin, usw.) oder sie bereitet sich im Kopf schon mal auf die nächsten zu sagenden Sätze auf Französisch vor. Dazu kommt besagtes Grundmisstrauen, dass es einen Grund geben wird, dass ich in einem Gebäudekomplex mit zwei Sicherheitstoren und -codes und doppelt gesicherter Wohnungstür lebe. Also, um es abzuschließen: ich habe hier keine Angst oder so, aber es fällt eben auf und es ist evident, dass ich ebendiese Wahrnehmungen in Deutschland nie habe oder bräuchte. Wenngleich es mir zunehmend weniger schwer fällt, mich im Großen und Ganzen im Ausland zu akklimatisieren, das merke ich schon. Wen es interessiert, zwei weiterführende Artikel zu "Umziehen macht uns kreativ" und "People Who Take Time To Study Abroad Are Smarter And More Creative".

Grundangst Treppe. In diesem oder dem nächsten Eintrag (man merkt, ich bin gerade etwas fotofaul) wird es ein Bild von meiner absolut kriminellen Treppe geben, über die man unters Dach in meinen Schlafbereich gelangt. Treppensteigung ca. 75°, es ist abartig. Generell nur seitlich herabsteigbar und generell auch nur nüchtern zu empfehlen. Eine meiner Grundängste ist (neben Erblinden) Treppen runterzustürzen. Ich bin mal in der ersten Klausurenphase an der EBS (weiß ich noch wie heute) mit einem Drucker und einer Vase in der Hand die Holztreppe im Haus in Mainz runtergestiegen, ins Leere getreten und mit mehreren Überschlägen unten angekommen. Gebremst wurde in diesem Fall weder mit Schädeldecke, Kniescheibe oder Schneidezahnreihe (zum Glück), sondern mit der Hüfte, die auch heute noch eine ganz ansehnliche, aber süße Narbe trägt. Der Drucker hat es einigermaßen heil überstanden, die Vase ist dagegen in 50-100 Teilen bis zur Haustür geschlittert. Nun ja. Daher meine Grundangst Treppensturz und mein fleißiges Training an ihr hier.

Der vorerst letzte Punkt, zu dem ich "aufräumensmäßig" noch was sagen möchte: creepy Menschen generell und teils leicht creepy Nachbarn. Aus der Wohnung neben mir schallt nahezu an jedem Tag der Woche, bevorzugt allerdings vormittags ein und dieselbe Opernarie. Wäre ich ein Kenner, könnte ich mich dezidiert dazu äußern, um was es sich handelt, bin ich aber leider nicht. Aber ist immer die gleiche. Gestern wurde ca. 9 Stunden lang der Innenhof gekärchert. Was an sich auch völlig unbemerkenswert wäre, wenn das nicht bereits letzte Woche in ähnlicher Intensität geschehen wäre. Da wir in Frankreich im Herbst nicht mit ähnlichen Problemen wie, sagen wir mal Nevada im Hochsommer konfrontiert sind und ich die letzte bin, die sich beschwert, wenn der Hausmeister einen eklatanten Reinigungs- und Hygienezwang zu haben scheint, fine with me. Nicht fine with me sind aber die Leute, die sich entweder offenkundig geistig verwirrt und/oder stark alkoholisiert im Starbucks neben mich setzen und mich auf Französisch anbrabbeln oder noch besser, die mich auf offener Straße anbrabbeln und mich wissen lassen, dass sie mich jetzt eine Weile hier hätten rumlaufen sehen (!) und seit dem ersten Moment wussten, dass sie mit mir sprechen wollten bzw. müssten (!!). Ich sage dann meistens so was wie «Mais je ne veux pas parler avec vous. Absolument pas.», drehe mich rum und gehe. Dem misanthropischen Persönlichkeitsanteil in mir fällt das nicht schwer, der Rest ist mit processen der offenkundigen Gruseligkeit der Situation beschäftigt. So far, ansonsten geht's mir aber gut.

Bisous, Nina

 

Google Doodle des letzten Wochenendes

«Le 22ème anniversaire de la reconnaissance officielle du pain de tradition française»  

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