Mir geht es "gut". Ja. Wirklich.

[Mein Track zum Text: Ludovico Einaudi - "Divenire"]


We are safe now and hope everyone else is as well.

We are safe it ended in my street, still hearing ambulances and grenades but I hope we will be safe ! 

Shocked and appalled at level of evilness that human beings managed to achieve.

Freunde, bei mir ist alles in Ordnung, ich bin an einem sicheren Ort.

yesterday Lebanon, today France. WTF .

Saluti, sto bene.

Lieben Dank für all eure Anteilnahme, Nachrichten und Anrufe! (..) Paris in stiller Schockstarre zu sehen ist wirklich berührend und erschütternd zugleich.

Finally arrived home! Thanks for your messages. What a horrible night in Paris.

 

Was Ihr hier lest, ist ein Bruchteil der Facebook-Posts meiner Kommilitonen, Bekannten und Freunde in Paris, gepostet am späten Freitagabend, kurz bevor es auf Facebook die Möglichkeit gab, sich mithilfe des sogenannten Sicherheitscheck als wohlauf zu markieren. Menschen, die mit einem befreundet sind, werden dann per Benachrichtigung und einem Post auf der Timeline des Betroffenen darüber informiert, dass es ihren Kontakten gut geht.

Mir geht es "gut". Ja. Wirklich. Mir geht es gut, wenn "gut" heißt, dass mein Leben unversehrt ist, dass ich mich am Freitagabend nicht in der Nähe der Anschlagsorte befand, dass ich in keiner Weise direkt beeinträchtigt wurde, von dem was geschehen ist und dass sich keiner meiner Kommilitonen, Bekannten oder Freunde, die zur Zeit in Paris leben unter den Opfern oder Verletzten befindet.

 

Mir geht es gut, wenn ich die Menschen sehe, die auch gestern bei schönstem Sonnenschein in Saint-Germain-des-Prés vor den Restaurants sitzen, die an der Seine entlang spazieren, sich in kleinen Gärten wie dem Square René Viviani küssen - wie sie das Leben genießen. Und wie sie lachen. Wie sie trotzdem lachen, trotz allem was passiert ist und was in diesen Tagen über Paris hängt, was wie eine hässliche, nicht greifbare, nicht sichtbare Wolke über dieser Stadt schwebt. Zu weit weg, um nackte Panik zu verbreiten, zu nah, um auch gestern, am Sonntagabend, kurz nachdem ich an der Station Bastille vorbeifuhr, einen falschen Alarm auszulösen, mit flüchtenden Menschen und Polizeieinsatz.

 

Ich kenne mich selbst gut genug, um zugeben zu können, dass mir Ereignisse, bei denen viele Menschen auf grausame Weise zu Tode kommen, enorm nahegehen, wenngleich ich nie jemanden verloren habe, nicht mal jemand kannte, der verletzt wurde. Der 11. September. Norwegen. Der Absturz der Germanwings-Maschine im März. Charlie Hebdo im Januar. Ich stehe davor und ich begreife es nicht. Ich suche wie eine Blöde nach einer Erklärung, einem Sinn, einem Grund, den es geben kann, weswegen so etwas Menschen widerfährt. Wie ein gerechter Gott das zulassen kann. Wie er es vielleicht so wollen kann.

Ich scheitere. Immer wieder.

Mir kommen die Tränen. Immer wieder.

Ich fange mich. Immer wieder.

Und obwohl ich weiß, dass es idiotisch ist und dass es keinen Grund gibt, es keinen Sinn geben kann, ist es meine Weise damit umzugehen. Ich schaue Nachrichten, ich verfolge Artikel, soziale Netzwerke, wie Ihr es vermutlich alle macht. Ich will zumindest das an Fakten begreifen, was sich nachvollziehen lässt. Und ich will Mitgefühl teilen, ich will Verbundenheit spüren und ich will mich berühren lassen von der Anteilnahme, von den Worten, die Menschen für etwas finden, wofür es keine Worte gibt und in Zeiten, in denen selbst die passendsten Worte trotzdem nie genug sein können.

 

You must go on. I can't go on. I will go on. (Samuel Beckett)

 

Unter allen Leidenschaften der Seele bringt die Trauer am meisten Schaden für den Leib (T. Aquin)

 

In the midst of hate, I found there was, within me, an invincible love.

In the midst of tears, I found there was, within me, an invincible smile.

In the midst of chaos, I found there was, within me, an invincible calm.

I realized through it all, that ...

In the midst of winter, I found there was, within me, an invincible summer.

And that makes me happy. For it says no matter how hard the world pushes against me, within me, there's something stronger - something better, pushing right back. (A. Camus)

 

France embodies everything religious zealots everywhere hate: enjoyment of life here on earth in a myriad little ways: a fragrant cup of coffee and buttery croissant in the morning, beautiful women in short dresses smiling freely on the street, the smell of warm bread, a bottle of wine shared with friends, a dab of perfume, children playing in the Luxembourg Gardens, the right not to believe in any god, not to worry about calories, to flirt and smoke and enjoy sex out of marriage, to take vacations, to read any book you want, to go to school for free, to play, to laugh, to argue, to make fun of politicians alike, to leave worrying about the afterlife to the dead. No country does life on earth better than the French. Paris, we love you. We cry for you. You are mourning tonight, and we with you. We know you will laugh again, and sing again, and make love, and heal, because loving is your essence. The forces of darkness will ebb. They will lose. They always do. (Blackpoodles, Santa Barbara)

 

Julia Engelmann hat gefragt: "Was bleibt mir zu tun?" Ganz einfach: mir bleibt damit klarzukommen. Im Hier und Jetzt zu leben. Meinem eigenen Leben mit Achtsamkeit und Dankbarkeit zu begegnen. Denen, die ich liebe zu sagen und zeigen, dass ich sie liebe. Und nicht aufzuhören zu lachen. Nicht aufzuhören rauszugehen, im Café zu sitzen und das Leben immer wieder zu genießen. Nicht mehr bei jeder Sirene zusammenzuzucken. Ich bin ein mutiger Charakter, ich bleibe nicht im Keller sitzen und weine. Ich lasse mich nicht unterkriegen und wir lassen uns nicht unterkriegen und ich gehe raus und erlebe was da ist und erlebe wie die Menschen sind. Ich erlebe ihre Gedrücktheit, aber nicht ihre Resignation. Ich erlebe Vorsicht und Aufmerksamkeit, aber keine Angst oder Paranoia. Ich erlebe eine Stadt, die nicht mehr ist wie zuvor und ich erlebe Menschen, für die nichts wieder ist wie zuvor. Und ich erlebe mich, wie ich mitfühle, wie ich weine, wie ich weitermache.

Der Campus meiner Uni, der ESCP Europe, liegt 850m vom Rockclub Bataclan, in dem am Freitagabend etwa 100 Menschen hingerichtet wurden. Die Schule wird heute, am Montag, wieder öffnen, es wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen eingerichtet, psychologische Unterstützung wird angeboten werden, der Unterricht wird bis einschließlich Dienstag Abend stattfinden, aber nicht verpflichtend sein, Klausuren werden verschoben, wir nehmen an der Schweigeminute um 12 Uhr teil. Ich selbst werde ab Dienstag wieder in der Schule sein, sadly as it is, das Leben muss weitergehen und wird es, aber wir werden nicht vergessen. Wir werden nicht vergessen, aber wir werden heilen, die Stadt wird heilen und das was jetzt noch als offene Wunde klafft, wird vernarben.


Ich möchte Euch danken für die unzähligen Facebook-Nachrichten, WhatsApps, Anrufe, Erkundigungen, ob es mir gut geht, dass Ihr Angst um mich habt, dass Ihr in Gedanken bei mir seid, wie schrecklich das alles ist. Ich möchte Euch ebenfalls bitten, Euch keine Sorgen um mich zu machen, denn mir geht es ja gut. Und entgegen einer Nachricht, die ich erhalten habe, Angst haben zu müssen was die Zukunft so bringt und nicht um meine Jugend oder generell nicht um ein junges Alter beneidet zu werden, habe ich keine Angst was die Zukunft bringt. Ich bin froh, dass ich so jung bin und miterleben darf, was die Zukunft bringt, denn sie wird natürlich und leider weiterhin schreckliches wie dieses oder gar noch schrecklicheres bringen, aber sie wird auch schönes, unbeschreiblich schönes und Glück bringen und wir haben das Privileg, dass wir unser Leben noch haben und behalten werden - im Gegensatz zu denen, denen es auf barbarische Weise von irgendwelchen Unmenschen, von regelrechten Tieren, genommen wurde und die die ganze Zukunft gerne noch erlebt hätten.

You will not be forgotten. 

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