On Tipping Points

In meinem letzten Eintrag sprach ich von meiner These, dass sich verschiedene Dinge, die zumindest in meinem Leben eine recht präsente Rolle einnehmen anhand einer nach unten geöffneten Parabel darstellen lassen sollten. Um es mal nicht ganz so kompliziert zu machen, rufe man sich meine Erklärung dazu in Erinnerung. 

Da es die Themen Internationale Erfahrung und andere Nationalitäten, selbstgewähltes Alleinsein, Sport und Grübeln betrifft und ich letzteres aber gerne außen vor lassen möchte, da ich es nur bis zu einem gewissen Grad selbst und willentlich beeinflussen kann, belassen wir es mal bei den ersten dreien.

Internationale Erfahrung. Wenn man wie ich und viele meiner Freunde, Bekannten, Kommilitonen und so weiter ein- oder mehrmals für kurz oder zumindest über länger als einen Urlaub im Ausland gelebt, -arbeitet, -studiert, -praktiziert (für "ein Praktikum machen" und ja, ich weiß, das ist nicht das korrekte Verb) hat, konnte man nicht umhin mit kulturellen Unterschieden, Andersartigkeiten und Wunderlichkeiten konfrontiert zu werden - sich entziehen und in einer Quarantäne artigen, isolierenden Blase durch das neue Umfeld wabern kann man nicht, spätestens in Gesprächen fällt auf: man ist ein Deutscher im Ausland. So weit also alles nichts Neues, diese situativen Umstände können lustig, nervig, einschüchternd, schön sein - eines sind sie jedoch immer: anders als Zuhause. Und wenn man nun auf der x-Achse fortschreitende Zeit und auf der y-Achse persönliche Bereicherung aufträgt, so glaube ich, dass die exposure (es gibt hier keinen wirklich treffenden schönen, deutschen Ausdruck) to international experience and other cultures durchaus ein Optimum diesbezüglich hat. Es gib einen idealen Zeitpunkt, an dem man sich wohl fühlt, weil wir alle so divers und international und auf immer anderen Sprachen (momentan also Englisch und Französisch) kommunizierend uns miteinander umgeben und vielleicht die Anzahl der Personen, die einem wirklich taugen die derjenigen übersteigt, auf die wir vielleicht eher verzichten wollten. Und bis dahin bereichert es persönlich, erweitert den Horizont, ist auf einem Online-Tagebuch wie diesem berichtenswert und für die Daheimseienden amüsant. Hat man den Peak aber überschritten, gleiten Dinge, die einst die Tage lustiger, schöner oder zumindest bunter gemacht haben, in das nervige, darauf kann man verzichten-bare, ich will zurück in mein Land, wo es so was nicht gibt-mäßige ab. Das betrifft den obligatorischen Métro-Klampfer mit Akkordeon, Pan-Flöte, Saxophon, Synthesizer oder sonst was tragbarem, der in abartiger Lautstärke neben meinem Kopfschmerz-Ohr zu performen glaubt, tatsächlich aber nur mein migräneartiges Weh verstärkt. Das gilt auch für nicht stereotypisch schnatternde Chinesinnen, die mit überdimensionalen Schleifen auf dem Kopf über den Campus wackeln, für meinen Postboten, der entweder beizeiten tagelang gar keine Post austrägt (man weiß es nicht, macht er vielleicht Home Office?) oder wenn er Pakete hat, diese in unseren Briefkasten reinstopft und quetscht, als gäbe es kein Morgen. Vielleicht muss man hinterher den Briefkasten abmontieren oder sprengen, aber das kratzt ihn relativ wenig, so lange wenigstens er das Ding los ist. Das gilt auch dafür, einfach nicht in seiner Essenz verstanden zu werden, sondern eben nur in der Übersetzung dessen, was man sagen will. Daran lässt sich übrigens auch mein persönlich gefestigter Glaube festmachen, dass ich nur jemand Deutschen lieben kann, freundschaftlich wie erotisch, einfach weil wir auf der gleichen Sprache fühlen. Exkurs Ende. Wer mir nicht zur Gänze hat folgen können oder wollen, verbuche es unter Heimweh und darunter, dass ich für mich selbst finde, ausinternationalisiert zu sein. Zumindest mal für die nächsten Jahre. Ich mag Deutschland und je öfter ich weg war, desto reflektierter kam ich zurück und konnte umso plausibler sagen "ich mag Deutschland und ich mag, dass ich Deutsche bin".

Selbstgewähltes Alleinsein. Ich muss mir eingestehen, dass ich vielleicht am Anfang des letzten Semesters auf keiner Uni-Party aufgekreuzt bin, dass ich schlecht socialize und dass ich auch willentlich ein ziemlicher Einzelgänger sein kann oder bin. Sicher, mir nähern sich Menschen an, aber über den Kontext universitärer Gruppenarbeiten und freundlicher Gespräche auf dem Campus läuft es dann nicht hinaus. Ich meine, ich habe unendlich wertvolle Freundschaften und es kostet mich nicht unwesentlichen effort, diese bei mir und nah an mir zu halten - die Fäden an mich zu raffen, indem ich in regelmäßigen Telefonaten, Nachrichten, Gesprächen über die Ländergrenze(n) hinweg das aufrecht erhalte, was mir und dem Gegenpart wichtig ist. 

Was ich sagen will: man weiß es am Anfang unheimlich zu schätzen, Zeit für sich zu haben, sich auf sich zu konzentrieren, man profitiert regelrecht davon, fühlt sich stärker, weil man mit dem Alleinsein klarkommt. Aber sobald man über in diesem Fall einen Tipping Point hinaus ist, wird aus der selbstgewählten, in unserer Generation hochgelobten me-time eine Form der sozialen Isolation und aus dem Alleinsein wird Einsamkeit. Und klar, wenn ich nicht diese Menschen in Deutschland und anderen Ländern hätte, die ich wirklich unendlich vermisse, müsste ich den Schmerz des Vermissens nicht ertragen. Aber wir wissen: so funktioniert Leben nicht. Ich kann nicht nicht lieben, weil ich Angst vor einer neuen Verletzung habe und ich kann mich nicht nicht auf eine Freundschaft oder Beziehungen einlassen, weil ich Angst habe, sie könnten irgendwann vorbei sein. Worrying won't prevent the bad stuff from happening, it just stops you from enjoying the good.

Bei meiner Recherche zu diesem Eintrag habe ich unter anderem zwei Artikel in der Welt zum Thema Einsamkeit gefunden: Einsamkeit ist der Preis der modernen Gesellschaft und Was Alleinsein von Einsamkeit unterscheidet. Nur für die, die es weitergehend interessiert. Für alle anderen ist meine main finding Passage die folgende: "(der Mensch) mag unter Menschen leben, doch sie haben keine affektive Bedeutung für ihn. Der Mensch, so sieht es (Soziologe) Norbert Elias, kann nicht existieren ohne die Beziehung zu anderen; und er ist am Ende auch nur das, was er für andere Menschen bedeutet." Ich bin zum Glück nicht grundsätzlich einsam, ich bin nur sehr entfernt von Euch und das macht es, ich finde mit Verlaub keinen Euphemismus, manchmal einfach scheiße.

Sport. Ich fange wieder an zu laufen. Ich muss, ich will und es ist ein Teil von mir. Gerade in den Phasen meines Lebens, in denen ich verletzungs- oder krankheitsbedingt keinen Sport machen kann und konnte, wird mir bewusst, was dieser mir doch eigentlich bedeutet. Ich habe seit ich ein kleines Kind bin immer Sport gemacht, erst Ski fahren, dann Tennis, dann Reiten, jetzt Fitnessstudio. Bewegung ist wichtig für mich, ich spüre mich, ich habe keine Angst und ich spüre meinen Körper. 

Um zurückzukommen zu meiner These mit dem Hochpunkt oder dem zwar im Graph ähnlich aussehenden Tipping Point (der da bedeutet Sisyphos-Arbeit und danach Verselbstständigung im Snowball-Effekt): man kann auch zu viel Sport machen. Auf dem Tipping Point ist es körperlich, seelisch und gesundheitlich perfekt, aber danach ist es halt einfach.. zu viel. Nun ja. In diesem Sinne, es wird versucht: der Tanz auf der Spitze des Tipping Points. Und ich gehe jetzt erst mal laufen.

Bisous, Nina

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