Wo ist zuhause?

[Mein Track zum Text: Jetta - "Feels like coming Home"]

 

"Zuhause ist dort, wo ich keine Selbstzweifel habe."

"Heimat ist kein Ort. Sie steht in keinem Pass, setzt sich nicht aus schön gedachten Erinnerungen zusammen. Heimat ist ein Gefühl."

"To me, home (..) was the way the people I loved said my name."

 

"Where we love is home - home that our feet may leave, but not our hearts."

"Heimweh - Heimat - Du."

"Never make your home in a place. Make a home (..) inside your head. That way it will go wherever you journey."

"If you go anywhere, even paradise, you will miss your home."

  

"Vanillepudding."

"Lieblingsbar."

"Tatort."

"Ein Moment warmer Geborgenheit, der mich davontrug."

 

"Aber Du bist meine Heimat, der Ort meiner Kindheit."

"Home is the place where, when you go there, they have to take you in."

 

  

Was Ihr hier lest, ist ein Bruchteil der Zitate, Meinungen und Antworten, die ich in der Vergangenheit, explicit aber auch bei meiner Recherche in der letzten Zeit zu diesem Eintrag zusammengeklaubt habe und nun versuche, puzzleartig zu sortieren. Die im Kern befindliche Frage nach dem "wo ist zuhause?" kann und will auch gar nicht erschöpfend oder womöglich statisch final beantwortet werden. Aber man kann zumindest mal vier Ecken finden, Ränderteilchen raussuchen, blaue Teilchen auf einem Haufen zusammenlegen. 

Es ist sowohl demographisch beleg- als auch nicht schwer nachvollziehbar, dass von Generation zu Generation der eigentliche Heimatort an Bedeutung verliert, "Dörfer, Städte, Wohnungen sind oft nur noch Übergangsstationen zum nächsten Karriereschritt oder zur nächsten Beziehung", so die Zeitschrift NEON zu Beginn des Jahres (2016). Die Heimat, schreibt der Autor Bernhard Schlink in seinem Aufsatz «Heimat als Utopie», hat weder einen bestimmten Ort, noch ist sie einer. Unter Heimat versteht Schlink eigentlich Heimweh, eine Sehnsucht nach Vergangenem, eine Verklärung, die in Wirklichkeit meistens schaler sei als in der Vorstellung.

Nehmen wir in dem ganzen mich und zunächst mal nur meine geographisch, schritt- oder sprungweise aufeinander folgenden Eckdaten: ich bin in Wiesbaden geboren, in einem Vorort von Mainz, Gonsenheim, aufgewachsen und bin kurz nach meinem Abi mit meiner Mutter in einen anderen Vorort von Mainz, Bretzenheim, umgezogen. Nach dem ersten Semester meines Studiums bin ich in den Ort meiner damaligen Uni gezogen, nach Oestrich-Winkel im Rheingau. 3 Monate später bin ich zum Praktikum nach Zürich gezogen, nach 3 Monaten dort wieder zurück nach Oestrich-Winkel. Nach 4 Monaten dort bin ich zum Auslandssemester nach Indien gezogen, nach 4 Monaten dort wieder zurück nach Deutschland und im Anschluss für 2 Monate zum Praktikum nach München. Danach wieder zurück nach Oestrich-Winkel für die letzten beiden Semester und mein darauf folgendes Praktikum. Als ich dann an die ESCP Europe gewechselt bin (meine Uni zum Masterstudium) bin ich im ersten Semester in London gewesen, im zweiten in Berlin und dann für ein Gap Year von 15 Monaten in München. Und direkt danach bin ich nach Paris gekommen - wir sprechen also von kumuliert ca. 14 Umzügen in den letzten 5-6 Jahren. Ich habe das in dieser Ausführlichkeit aufgedröselt, nicht weil ich damit eine Ausnahme darstellte (die geolokale Vita eines Großteils meiner Kommilitonen liest sich vermutlich ähnlich), sondern weil es verdeutlicht wie sehr wir darauf angewiesen sind, Heimat von etwas Äußerem in etwas Inneres zu verwandeln. Jahrelang war mir Fernweh ein vertrauteres Gefühl als Heimweh, danach war ganz oft das Gegenteil der Fall.

Es zeigt darüber hinaus den Kern von "A comfort zone is a beautiful place, but nothing ever grows there". Man kann die Probleme der Welt nicht vom Bett aus lösen, seine eigenen schon gar nicht. Natürlich ist es dort wohlig und warm und gemütlich, aber irgendwann muss man eben doch aufstehen. Und ganz ähnlich verhält es sich mit der Heimat. Wer sich an der Schönheit der (restlichen) Welt freuen will, muss seinen Kokon hinter sich lassen und die Erfahrung des Fremdseins machen. Wer sich zu Hause fühlen möchte, wer verstehen will, was ein weiterer Aspekt von Heimat sein kann, der muss die Konfrontation mit dem Fremden, dem Unbekannten suchen.

Ein weiterer Punkt ist der Begriff der Geborgenheit. Er ist übrigens in keine andere Sprache direkt übersetzbar, im Englischen kommt ihm "to be at peace" am nächsten. Wo ich mich geborgen fühle, wo ich weiß, mir kann nichts passieren, ich kann mich fallen lassen, ich kann ich sein und werde so geliebt wie ich bin, wo es sich anfühlt, als zöge man sich die Bettdecke doch noch mal über den Kopf und atme in seiner eigenen wohligen Wärme doch noch ein paar Minuten vor den Unfairheiten der Welt geschützt vor sich hin - dort fühle ich mich geborgen, dort fühle ich mich zuhause.

Alles in allem sind wir heute vermutlich in einem Stadium der multiplen Heimaten angekommen. Zuhause ist in München, weil dort meine Mutter und Alfons leben, weil ich dort gemeldet bin, weil ich dort meinen kompletten Kleiderschrank und all meine Habseligkeiten habe. Zuhause bist Du, München, weil ich mich in Dich verliebt habe. Ich wohnte in Paris und in einer Weise war auch das ein temporäres Zuhause-Partikel, denn ich machte meine Wohnung so wie sie für mich wohlig war und wie ich sie unheimlich mochte und weil der Mensch sich einfach zu einem gewissen Grad dort zu Hause fühlen müssen muss, wo er ist, sonst vergeht er. Zuhause ist auch, wo Ihr seid, es ist München (again), Frankfurt, Oestrich-Winkel, Mannheim, Heidelberg, Hamburg und bis vor kurzem auch London und Kopenhagen. Zuhause ist daher ganz vieles für mich, meine Heimat ist und bleibt Deutschland. Neulich hat jemand in einer Talkshow (vermutlich zur Flüchtlingsdebatte/-krise/-frage), glaube ich, gesagt: "Viele sagen, Heimat sei dort, wo man geboren wurde. Ich denke, Heimat ist dort, wo man zum Sterben hingeht." Das fand ich interessant, brutal natürlich, aber nicht direkt zu Verwerfen.

Heimat ist für mich Deutschland, weil man mich versteht, sprachlich, non-verbal, kulturell, Eigenheiten und Vorlieben bezogen, am meisten von allem. Und weil ich ausinternationalisiert bin - zumindest was die nächsten Jahre betrifft. Ich möchte ankommen, ich möchte nicht mehr rumtrudeln und -reisen und -ziehen, möchte für meine Besitztümer nicht mehr in Kistenvolumen denken und vor allem möchte ich mir meine Post nicht mehr nachschicken lassen. Ich habe die letzten Jahre unheimlich viel erlebt und ich möchte nichts davon missen. Aber irgendwann ist es Zeit, heimzukommen. 

Bisous, Nina.

 

 

[Edit. 1. März 2020: Ich lebe seit gut 3 ½ Jahren in München. Zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema kann ich den Essay "Zuhause - Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen" von Daniel Schreiber, erschienen im Hanser Verlag empfehlen.]

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