Mir geht es "gut". Ja. Wirklich. - Teil II

I feel alive when I'm close to the madness.

Einer der Gedanken in meinem Kopf: wir sind angekommen. Mitten im Terror.

Liebe Münchner, bitte lasst Euch nicht unterkriegen.

Auf mich hat die Polizei einen sehr guten Eindruck gemacht. So aus der Ferne. Sehr kontrolliert, sehr bedacht.

Jetzt, hier sind alle Menschen pur.

Sie bekommen nicht meinen Hass, dafür sind sie zu unwichtig.

Sie bekommen nicht meine Angst an jedem Tag, ständig.

It's situations like this one when you get to appreciate the rational and efficient German way of dealing with crises.

Keine Angst! Denn Angst frisst die Seele auf.

Die Detonation eines Sprengsatzes oder ein Amoklauf kann das Fundament der eigenen Wertvorstellungen und Überzeugungen schwer erschüttern. Hoffentlich stürzt es nicht ein.

Trump, Brexit, Türkei, Würzburg, München, Ansbach: Es kommt im Moment immer noch schlimmer als schon befürchtet.

Wiesn, Straßenfest, Musik-Festival: Es ist nicht leichtsinnig, weiterhin auf solche Veranstaltungen zu gehen, sondern notwendig.

 

Ich will mich nicht an den Terror gewöhnen!

Nein, die Welt ist nicht schlechter geworden. Die Welt ist nur näher gekommen.

 

 

Ich war im November in Paris, ich war gestern in München. Ich lebe, es geht mir gut. Erneut. Statistisch betrachtet sind verschiedene Szenarien der Zukunft in ihrer Wahrscheinlichkeit daher gegen null gehend. Es ist unwahrscheinlich, dass ich a) noch mal in einer Stadt sein werde, in der etwas passiert, dass mir b) bei einem Terroranschlag oder einem Amoklauf (oder was auch immer sonst schreckliches verkehrt verschaltete Synapsen bewirken) etwas zustößt, dass c) so schnell wieder etwas in München passiert und leider, dass d) die Welt in Zukunft ein friedlicherer oder sicherer oder menschlicherer Ort wird.

Ich hätte meinen ersten Post seit 2 Monaten gerne erfreulicher begonnen - mal ganz davon abgesehen, dass ich ihn gerne nicht erst nach 2 Monaten geschrieben hätte. Man steckt ja nicht immer drin. Nun ja. Im Moment fällt mir aber zu allem nicht wirklich etwas ein, zu der Situation nicht, zu meinen Gefühlen nicht, zu gar nichts. Ich bin erschöpft. Ich bin unheimlich erschöpft und jeder Morgen, an der ich von einer meiner Nachrichten-Apps (sei es n-tv, ARD, Spiegel Online) den Push im Sperrbildschirm sehe, dass es wieder einen Anschlag, einen terroristischen Akt gegeben haben soll, ist ein Scheiß Morgen. Es waren zu viele Scheiß Morgende in letzter Zeit. Und leider werden es in kürzeren Abständen auch immer mehr.

 

Paris.

Brüssel.

Orlando.

Baghdad.

Bangladesh.

Istanbul.

Nizza.

Würzburg.

München.

 

Ich war im November in Paris, doch gestern war ich in meiner Heimat. Ich war in meiner Stadt, in der ich ankomme, endlich, die ich liebe, in der ich mich sicher fühle, in der (viele) meine(r) Freunde und Familie sind, in meinem Zuhause, das ich endlich nach 6 Jahren Studium und Umziehen und Ausland gefunden habe. Meine Stadt wurde angegriffen. Und wieder sitze ich am Tag danach da und kann nicht anders, als mich bei jedem lauteren Geräusch zu erschrecken und umzusehen, bei jeder Polizeisirene direkt wieder an irgendwas zu denken. Wer in den turbulentesten Stunden gestern Abend und Nacht Kontakt mit mir hatte (es waren eine meiner beiden besten Freundinnen und meine Eltern am Telefon, der Rest nur über WhatsApp und Facebook), weiß, dass ich gegen halb acht am Stachus war.

Dass ich in den Hauptbahnhof reingelaufen bin, als dieser gerade evakuiert wurde, weil ich dort eigentlich in die U2 zum Kolumbusplatz umsteigen wollte.

Dass ich am Telefon mit meiner besten Freundin geweint und ihr gesagt habe, dass ich sie liebe.

Dass ich Angst hatte. Dass ich eigentlich kein ängstlicher Mensch bin.

Dass ich mich einfach in das nächst gelegene Hotel in die Lobby geflüchtet habe.

Dass ich bis 2 Uhr mit ca. 40 anderen (die Hälfte davon ca. 10 Jahre alt) im Keller des Sofitel Munich Bayerpost am Hauptbahnhof in München saß.

Dass ich mit meinen Eltern, also Mama und Alfons, telefoniert habe und sagte: "Ich möchte, dass ihr nach Hause geht. Sofort. Und da bleibt. Punkt."

Dass ich in meiner eigenen Stadt derart in meiner Freiheit beschnitten wurde, dass ich die Nacht im Hotel verbringen musste.

Dass es mich abfuckt, dass ein Spinner oder mehrere oder wer auch immer unmenschliches bestimmen kann, wie ich meinen Freitag Abend verbringe, obwohl der mich nicht mal kennt. 

 

Ich hatte gestern Nacht und auch vorhin noch so viele Worte. Jetzt, wo ich in meiner Wohnung bin, ist da nur noch Watte. Einzelne zusammenhängende Gedankenfetzen fliegen vorbei wie z.B. "Ich werde definitiv niemals Kinder kriegen, wie könnte ich es verantworten, einen kleinen Menschen in so eine Welt zu bringen?", "Wann hört es auf?", "Was wird anders werden?", "Das Schicksal meint es scheinbar doch ziemlich gut mit mir."

Und wieder bleibt mir nur, damit umzugehen, es zu verarbeiten und mutig und positiv und kraftvoll nach vorne zu sehen. Nicht nur mir bleibt das als einziges. Uns allen.

 

[Mein Track nach dem Text: Mark Forster - "Wir sind groß"]

Kommentar schreiben

Kommentare: 0