Ist das Liebe oder kann das weg?

"Wann schreibst Du mal wieder was?"

"Ich weiß nicht. Ich dachte, Du wollest mich kennenlernen, ohne meine Texte zu lesen?"

"Ja schon. Aber jetzt kenne ich Dich ja ein bisschen und weiß wie Du bist. Und da würde ich das jetzt schon lesen."

"Achso. Hm. Also ich schreibe nur, wenn es mir in den Fingern juckt und die Worte quasi raus müssen. Ich habe aber auch noch so eine Liste mit Themen, die ich mal am Blog besprechen wollte. Dieses eine Buch z.B. von dessen Nachfolger meine Rezension ganz gut angekommen ist."

 

"Ist das Liebe oder kann das weg?"

Diese Frage stellt Michael Nast im Vorgänger von "Generation Beziehungsunfähig", einem von mir sehr geschätzten Buch, das ich hier besprochen habe. Wie es normalerweise das Schicksal der Fortsetzungen ist: sie sind meist nicht so gut wie die ersten Teile, aber das ist in diesem Fall umgekehrt. Aber sei's drum. Wenn man ehrlich ist wird die Frage auch nicht beantwortet, ist sie doch per se eher rhetorischer Natur, vor allem aber ist sie ein zynischer Finger in der Wunde der Generation derer, die sich mit dem Attribut "beziehungsunfähig" entweder aus der Verantwortung stehlen oder derer, die sich tatsächlich so schwachmatisch anstellen, dass sie diese Charakterisierung verdienen. Da es sich bei letzteren aber eher um die Minorität handelt (wir erinnern uns: für jeden Topf gibt es irgendwo ein Deckelchen), kann man streng genommen nicht von einer ganzen Generation sprechen. Anyway. Da spielen sowieso sehr viele Punkte rein:

 

1. Generation Beziehungsunfähig. Warum Generation?

Weil wir die vielbesungene "Generation Y" (oder auch "Generation Why?"), die sog. "Millenials" nicht mehr hören können und was neues brauchten.

Weil wir tatsächlich als die ersten Jahrgänge nach unseren Eltern uns ziemlich dämlich in eigentlich sehr einfachen Dingen anstellen, vielleicht sie sogar unnötig verkomplizieren. Ich sehe gerade meine Mutter vor mir, die sich an den Kopf fasst, irgendwo zwischen verzweifelt und verständnislos schaut und mich fragt, warum ich es so kompliziert mache. Wäre sie in meinem Alter, würde sie vermutlich sagen: "Chill' doch einfach mal!"

Weil gerade unsere Generation mit Tinder (Ausnahmen bestätigen die Regel), Once, Lovoo und moralisch fragwürdigen sowie nicht besonders haltbaren Beziehungskonzepten wie Fuck buddy, Mingle, friends with benefits oder "es ist kompliziert" sich ihr eigenes Grab zu schaufeln scheint.

 

2. "Ist das Liebe oder kann das weg?"

Aufgegriffen wird hier natürlich zunächst "Ist das Kunst oder kann das weg?". Ist das etwas wertvolles, auch wenn ich es nicht als solches zu erkennen oder wertzuschätzen vermag, sondern es genauso gut mit Müll, mit etwas, was weg kann, verwechseln könnte. Es kratzt an unserem Optimierungswahn, an unserem Begehr, Dinge clean zu halten, zu streamlinen, alles was nicht 100% wertig oder 100% schön ist, muss raus. Der Ansatz, an etwas zu arbeiten und es entweder wieder schöner zu machen oder zu reparieren oder sich zu fragen, warum es trotzdem behalten werden sollte, scheint fast lächerlich irrelevant. Vor allem aber ist es wie meistens der schwierigere Weg. Etwas heilen, in etwas investieren, ist uns oft zu anstrengend. "Das bringt doch nichts", "Er/sie ändert sich eh nicht", "wir passen halt nicht zusammen", und mein favorite "es ist so schwiiiiiiierig". Ja Mann, manchmal ist es halt schwierig!

Ein zweiter Aspekt spielt mit rein und hier bin ich möglicherweise nicht mit Herrn Nast d'accord: Manchmal ist es Liebe und es muss trotzdem weg. Und genau hier wird es ja spannend: Liebe ist doch das stärkste was es gibt, oder? Wie kann Liebe nicht genug sein? Wo schaden wir uns in der Liebe zu unserem Partner so sehr, dass wir den Selbstschutz über die Liebe stellen müssen? Sind wir mutig genug darauf zu vertrauen, dass wir wieder jemanden finden, der uns genauso sehr (oder vielleicht noch mehr), hauptsächlich aber um oder trotz unserer selbst willen lieben wird? Werden wir uns wieder verlieben können? Werden wir wieder lieben? Wie oben geschrieben: die Frage ist Zynismus. Aber eigentlich versteckt sich dahinter sehr viel Angst und vor allem verrät sie nur die Hälfte des Problems, was wir nicht hätten, wenn Liebe, wenn sie wahr ist immer bleiben würde und müsste.

 

[Kleiner Einschub: das Buch hat 272 Seiten. Wenn ich jetzt proportional so viel schreiben würde, wie es sich aus der Analyse der beiden Titel ergeben hat, dann gute Nacht. Daher straffe ich das jetzt mal ein wenig. Ich habe mir einige Zitate rausnotiert, die etwas in mir ausgelöst haben, die ich für ganz gute Aufhänger hielt, als ich sie zum ersten Mal las. Sie haben auch gar nicht alle etwas mit Beziehungsthemen zu tun, aber das ist eben das schöne an seinen Büchern: sie sind nicht Beziehungsratgeber, Gesellschaftskritik, Selbsthilfebuch, Komödie, Stimme einer Generation, Konsumanalyse, Verhaltensforschung. Sie sind all das in ausgeglichener, wohltuender Balance - garniert mit einem verblüffend häufig gefühlten "Oh mein Gott, er hat so recht!"]

 

Womit ich mich also assoziieren kann, sind beispielsweise folgende Passagen:

 

„Ich gehe inzwischen nur noch selten in Clubs, vielleicht, weil mir vor einigen Jahren aufgefallen ist, dass ich nicht mehr tanze. Ich unterhalte mich lieber, wenn ich ausgehe. Vielleicht bin ich ja inzwischen in der Barphase angekommen.“

Sehr wahr. Ich war in diesem Jahr vielleicht 2-3x feiern. Tatsächlich schätze ich mittlerweile anregende Gespräche mit besonderen Menschen und gute Getränke in noblen/interessanten/komfortablen Läden/Bars/Lounges wesentlich mehr als zwingendermaßen Sonntagmorgens um 4 mit dem soundsovielten Wodka-Cranberry in irgendwelchen dusteren Clubs rumzuhopsen und dabei im schlimmsten Fall von fast komatös betrunkenen Bubis (zwischen 14 und 18) oder jenseits der gesellschaftlich vertretbaren Altersdifferenz befindlichen Säcken angegafft, angegrapscht oder womöglich angesprochen zu werden. Auch dafür hat Michael Nast eine beeindruckend treffende Formulierung: „Gegen vier Uhr morgens können Strategien, einvernehmlichen Geschlechtsverkehr herbeizuführen, schon ein wenig plakativer sein.“ Womit er leider sehr recht hat, die bei mir aber allesamt glücklicherweise gänzlich unwirksam sind.

 

Über Singles sagt er (und hier tue ich mich gerade ein wenig schwerer, denn als ich das Buch las, war ich definitiv Single, jetzt, wo ich diesen Eintrag schreibe, bin ich in einer Übergangsphase/gerade noch so oder schon nicht mehr Single/verwirrt/mir nicht ganz so sicher mit mir und ihm einig, was wir schon oder noch sind/es mal wieder am verkomplizieren?):

„Das Single-Leben, von dem ich spreche, ist ja ein komfortables Leben. Es ist ein einfaches und sehr freies Leben, in dem man auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Keine Kompromisse machen.“

Aber er sagt auch: „Es gibt Momente, in denen ich begreife, dass Singles die wahren Romantiker sind. Einige haben bei diesem Satz sicherlich in sich hineingelächelt. Singles sind die wahren Romantiker?, denken Sie vielleicht skeptisch. Was für ein Satz. (..) Ich spreche natürlich nicht von verzweifelten Singles, die sich für eine Partnerschaft entscheiden, weil sie einsam sind, oder von den überzeugten Singles, die sich generell gegen eine Beziehung entscheiden. Ich meine Singles, die – wie es die ZEIT einmal so schön geschrieben hat – eben lieber auf ihren Traumpartner warten, als sich in freudlosen Kompromissbeziehungen die Hoffnung auf Besseres zu rauben.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, Zeit meines Single-Daseins gehör(t)e ich unzweifellos zu Typ 3.

 

„Man sagt ja, dass man eine verlorene Liebe erst dann überwindet, wenn man sich wieder verliebt.“

Ich glaube, da ist etwas dran. Ich glaube, man kann und sollte vermutlich eine gescheiterte Beziehung schon verarbeiten, so lange man noch mit sich selbst allein ist, so lange man sich ungestört in dem ganzen Liebeskummer, dem Herzschmerz, meine beste Freundin nennt es immer "die kalte Hand", suhlen kann, wo einem niemand vorschreibt, wie lange und in welcher Reihenfolge man welche Phase der Trauer durchschreitet. Ich glaube aber auch, dass man sich irgendwann wieder unter Menschen, konkreter unter gegengeschlechtliche Menschen (wenn man hetero ist), wagen sollte. Ich glaube, diese eine, einzigartige Position, diese Rolle, die jemand für einen einnimmt, verliert erst dann die letzten Spuren, Überbleibsel, Anhaftungen der letzten Person, die sie für uns besetzt hat, wenn auf dieser Position jemand neues ist.

 

Abschließend möchte ich noch auf eine Passage eingehen. Sie zeichnet vielleicht ein überspitztes Bild, wenn man aber an manchen Punkten ein bisschen was abzieht und es auf beide Geschlechter (und minus das Alter etwas nach unten) überträgt schon ein realitätsnäheres: 

„Es war alles so banal. Sie hatten studiert, sie waren Akademiker, sie waren Ende dreißig, und in ihren Gesprächen bedienten sie ausschließlich primitivste Sprachklischees. Sie führten das Leben von Zwanzigjährigen. Immer noch. Und so wie es aussah, war nicht zu erwarten, dass sich das mittelfristig änderte. (..) Sie führten ein Leben im Unverbindlichen. Sie redeten sich ein, auf der Suche nach der perfekten Frau zu sein, aber sie fühlten sich auf dem Weg dahin einfach zu wohl. Sie hatten sich eingerichtet. Ihre sozialen Kontakte beschränkten sich darauf, hin und wieder mit Kollegen einen saufen zu gehen, auf Dates, One-Night-Stands und auf Leute, die sie auf Partys kennenlernten, mit denen ich nüchtern kein Wort gewechselt hätte. Ein Leben, das aus Arbeit, exzessivem Ausgehen und unverbindlichem Sex besteht. Sie besaßen teure Möbel und lebten in Wohnungen, die ihre gelegentlichen Gäste beeindruckte. Die Kulisse stimmte. Da übersah man schnell, dass sie eigentlich ein asoziales Leben führten, dass ihr Kühlschrank immer leer war. Aber teure Möbel und schöne Wohnungen sind eine gute Hilfe, einem Single-Mann, der zu viel arbeitet, die Illusion zu vermitteln, dass mit seinem Privatleben alles in Ordnung wäre. Und damit passen sie – so traurig das auch klingt – ideal in unsere Gesellschaft. Sie sind die perfekten Konsumenten und die perfekten Arbeitnehmer.“

Ich glaube, die meisten der Menschen, von denen ich weiß, dass sie meinem Blog folgen, wird das nicht betreffen. Einfach weil ich die hier skizzierten, wenig sympathisch dafür sehr oberflächlich wirkenden Individuen nicht in meinem näheren Freundeskreis finde. Zum Glück. Aber ich glaube, an der ein oder anderen Stelle, kann sich sicherlich jeder fragen, ob da grad alles rundläuft oder ob man sich vorstellen möchte, so den Rest seines Lebens zu verbringen.

 

 

Fazit: Storyline? Es gibt eigentlich keine. Das macht aber auch gar nichts. Vielmehr werden Situationen aus dem Leben des Autors mit ziemlich viel Komik beschrieben, genug um herzlich zu lachen, aber auch nur gerade so viel, dass wir sie uns noch bildhaft vorstellen können, ohne sie für völlig absurd zu halten. Wir müssen vielleicht schmunzeln, weil wir sie selbst oder in unserem Bekanntenkreis schon einmal so erlebt haben oder sie ohne die gemachte Erfahrung dennoch als Ansicht bestätigen könnten. Vielleicht müssen wir auch schlucken, weil es sich um eine der tatsächlichen Tragiken unserer Zeit handelt oder weil wir exakt in so einer Situation auch schon waren oder sind und wir an unserer Empathie erwischt werden. Selbst wenn wir nichts von alledem wahrnehmen, verstehen wir vielleicht, warum manche Konstellationen und Beziehungen zwischen Menschen und gesellschaftliche Entwicklungen so sind wie sie sind, warum uns zunehmend mit "altmodisch" konnotierte Werte wie Ehrlichkeit und Toleranz oder Gaben wie Kommunikation und emotionale Intelligenz beizeiten echt den Arsch retten hätten können oder in Zukunft können.

 

Übrigens: Michael Nast liest aus "Generation Beziehungsunfähig" am kommenden Samstag, 10. Dezember 2016, um 20.00 Uhr in München. Hier gibt es noch Karten. Ich werde jedenfalls dort sein ;)

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Pia (Sonntag, 18 Dezember 2016 19:19)

    Die Rezension hab ich ja erst jetzt entdeckt! Einfach wunderschön und treffend beschrieben. Und nochmal mehr ein Grund, altmodisch zu sein, ehrlich zu bleiben, und mein Herz (was gefühlt so groß ist wie die Wüste Gobi) doch nicht wegen der oben beschriebenen Missstände zu verschließen.