„Axolotl Overkill“ ergeht sich in dekorativer Kaputtheit

 

Normalerweise liest man Rezensionen und weiß hinterher, ob man sich einen Film oder eine Ausstellung ansieht. Diese eindeutige Guidance kann ich mit folgendem Blogpost zu „Axolotl Overkill“ leider nicht bieten – aber unterhaltsam sind der Film und mein Kommentar dazu trotzdem.

 

Scheinbar ging das vor sieben Jahren wirklich, dass man einfach ein ganzes Buch lang einen renitenten Teenager durch Berlin fallen lässt und ohne viel Sinnzusammenhang oder Reihenfolge nahezu sämtliche Klischees der Stadt abarbeitet. Ich kann es nicht beurteilen, ich habe „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann damals nicht gelesen. Vermutlich, weil mich weniger die damaligen „Phänomenaler Roman“ und „Hegemann schreibt begnadet“ als die vermeintlichen Plagiatsvorwürfe erreichten. Oder weil ich im Jahr 2010 überschaubares Interesse an Gegenwartsliteratur hatte, die nicht im Oberstufenunterricht zu interpretieren gewesen wäre – Abi war ja zum Glück gerade rum.

 

Anyway, Hegemanns Romanvorlage wurde von ihr selbst verfilmt und heißt jetzt „Axolotl Overkill“.  Der Film besteht aus abwechselnden Szenen, in denen mit Filmstars rumgekokst wird, in denen in halb heruntergekommenen Altbauwohnungen inhaltslose, desinteressierte Dialoge in maximal hipsterigem bis ungepflegtem Kleidungsstil geführt werden oder exzessiv und psychedelisch bis Sonntagmorgens im Berghain herumgehopst wird – nicht ohne lesbisches Rumgeknutsche natürlich. Dazwischen passiert an Handlung nichts oder zumindest nichts Nennenswertes, eine Entwicklung durchlebt ebenfalls keiner der Protagonisten. Schnitt, irgendeine Party, Schnitt, irgendjemand kotzt, Schnitt, geiles Landhaus in Brandenburg, Schnitt, egal, Schnitt, noch egaler. So geht das immer weiter, man könnte es sich auch rückwärts anschauen. 

 

Die ziellos widerspenstige, 16jährige Mifti, die eigentlich Mafalda heißt, tut genau das, was sie (vermutlich) auch im Buch tut, sie ist dekorativ kaputt, kichert herum oder guckt genervt. Sie raucht (wobei sie Kippen am Toaster oder an ganzen brennenden Streichholzheftchen anzündet), sie schwänzt die Schule und wenn sie doch hingeht, benimmt sie sich so daneben, dass sie beurlaubt wird. Sie fühlt sich sehr erwachsen und lässt sich durch Erwachsenenwelten treiben, dabei missversteht Mifti das Erwachsenwerden gründlich und absichtlich. Wahrscheinlich ist sie bei dem Ganzen in die 20-30 Jahre ältere Alice verliebt und wahrscheinlich ist die Schauspielerin Ophelia ihre beste Freundin. Die Namen der beiden könnten zufällig gewählt sein, sehr naheliegend ist das aber bei ihren berühmteren Namensvetterinnen der Weltliteratur nicht. Genau kann man tatsächlich auch nicht sagen, wie die beiden zu Mifti (und sie zu ihnen) stehen, schließlich nehmen sie Medikamente, die ihnen verschrieben wurden nicht ein, dröhnen sich mit anderen (nicht verschriebenen) Substanzen zu oder sind tatsächlich gerade mal ekelhaft nüchtern – auch kein schöner Zustand in Anbetracht ihrer Gestörtheit.

 

Am besten erwartet man wie gesagt keinen roten Faden, keine Handlung, keine Entwicklung. Was man erwarten kann, sind dagegen kraftvolle, teils unheimlich schöne, teils bizarre, gut ausgewählte Bilder und Szenerien, geschmackvolle Musik und putzige Tierchen. Letztere werden sinnfrei entführt (zwei Lamas/Alpacas - man weiß es nicht genau), hopsen in unerwartetem Kurzauftritt über die Türschwelle (ein possierlicher Pinguin) oder geben dem Film überraschend tiefgründig seinen Namen: der Axolotl, präziser der Baby-Axolotl, ist nämlich ein Lurch, der ewig im Larvenstadium verharrt, „wirklich das beste Tier“. Er wird nie erwachsen und ihm wachsen abhandengekommene Körperteile selbstständig nach. Er ist also das am meisten naheliegende Metapherntier, wenn es darum geht, einen Gradmesser für die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung einzusetzen. 

Alles in allem bleibt einem als Zuschauer entsetzlich viel Zeit, darüber nachzudenken, was einem da gerade gezeigt wird und warum. Man hat schon verstanden, dass Erwachsenwerden und Verantwortung übernehmen und Sätze an Mitmenschen nicht mit „Fuck you“ oder „Fotze“ zu beginnen und/oder zu beenden, langweilig ist. Gleichzeitig ist einem klar, dass Mifti als Bürgerkind der Mittelschicht keine wirklichen Probleme haben müsste - aber sich dann halt welche macht.

 

Wir verlassen schließlich das Kino, etwas verwirrt, weil wir nicht wissen, ob der Film gut oder schlecht war. Und nicht ohne festzustellen, dass man das Buch vielleicht gelesen haben müsste, es jetzt doch noch liest oder es besser unverfilmt hätte lassen sollen.

 

„Das Ende war jetzt auch irgendwie.. “

„Ja, also wie sie da mit ihrem Handy auf den Hügel klettert, um Empfang zu bekommen, ich weiß nicht. Was hat das jetzt noch gebracht? Und dann plötzlich vorbei.“

„Womit hat denn der Film noch mal angefangen? Weil das hätte auch der Anfang sein können. Eigentlich hat der Film weder Anfang noch Ende, er ist also keine Linie.“

„Ja gut, aber ein Kreis ist er auch nicht.“


Keine Linie und kein Kreis. Ein Fragezeichen.

 

 

 

Teile dieses Textes entstammen dem Artikel "Total lurchgedreht" von Andrea Diener, erschienen am 28. Juni 2017 in der FAZ

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