7 Wochen

In letzter Zeit habe ich mich oft an in meinem Ermessen guten oder wohlklingenden Artikeln festgehalten, wenn ich einen neuen Blogpost geschrieben habe. Das hat mich einerseits in tollen Formulierungen und interessanten Standpunkten inspiriert, aber andererseits hat es mich in Worten gefangen, die andere gefunden haben und die eben nicht meine eigenen sind. Das führte manchmal dazu, dass ich verkrampft versuchen wollte, in meinen Augen phänomenal gut klingende Fragmente aneinander zu reihen beziehungsweise in  eine mir eigens stimmige Tonalität zu quetschen. Ein nicht angenehmes Schreiben, für mein Dafürhalten auch nicht immer gelungene Einträge. Im Folgenden daher eine Geschichte, die aus keinem Artikel kommt, die mein Leben gerade schreibt und die hoffentlich ungehemmt aus meinem Herzen in die Tasten fließt. [Memo an mich selbst Ende.]

 

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[Mein Track zum Text: One Republic - "Burning Bridges"]

 

"Hi, also.. ähm. Ich mache so was eigentlich nicht, aber.. ähm, kann ich vielleicht Deine Nummer haben?". Meine Knie sind Wackelpudding, mein Puls rast, ich mache mich völlig zum Horst und es ist mir völlig egal.

"Meine? Du meinst seine, oder? Er hat Dich doch gerade angesprochen!". Du schaust verwirrt bis belustigt und deutest auf Deinen Kumpel neben Dir.

"Nein, ich meine schon Dich." Dein Kumpel grätscht dazwischen, die Nummer habest Du schon für mich aufgeschrieben. Du kramst in Deiner Tasche, zum Vorschein kommt ein kleiner Zettel, zweimal gefaltet.

"Hier bitte." Deine Finger zittern (was Du später und bis heute bestreiten wirst) als Du ihn mir hinhältst. Ich strecke meine Hand aus, meine Finger zittern auch. Wir berühren uns kurz, vielleicht streife ich auch nur das Papier, so genau weiß ich es nicht mehr. Ich falte den Zettel auseinander, darauf Dein Name, Deine Nummer und eine kleine gekritzelte Sonne. 

“Danke.. ich bin Nina." Mein Gesicht muss mittlerweile die Farbe einer Himbeere haben, das kriege ich aber kaum mit. Ich bin hingerissen von Dir und Deinem zugleich offenen und schelmischen Gesicht, ich bin amazed über mich selbst und meinen Mut, Dir hinterherzulaufen und ich überlege krampfhaft wie ich einen souveränen Rückzug hinlege.

"Okay, Nina. Ich würde mich freuen." Und ich mich erst. Das sage ich natürlich nicht. Beziehungsweise nicht so.

"Ich mich auch. Einen schönen Abend Euch!" Ich drehe mich um. Jetzt nicht hinfallen, nicht gegen die Tür laufen, einfach nichts peinliches mehr machen. Genug peinliches für einen Abend. Ich trete hinaus in die immer noch warme Abendluft. Ich atme tief durch. Ich strecke die Schultern und mein Kreuz durch und gehe die Straße entlang nach Hause.

 

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"Ich kann mit Sicherheit noch total gerade laufen. Ich zeig's Dir!" Es ist ein warmer Abend, ich habe mich auf nüchternen Magen an einer halben Flasche Weißwein gütlich getan. Entsprechend mein Selbstvertrauen. Ich kneife die Augen zusammen und fixiere die weiße Linie, die auf der Wittelsbacherbrücke den Fußgänger- vom Fahrradweg trennt. Du stehst einige Schritte vor mir, mit dem Rücken zu unserer Gehrichtung, bereit mein Balancieren zu beurteilen. Ich bilde mir ein zu fühlen, wie Du innerlich lachst, aber man merkt Dir nichts an.

"Joar.. das kann man noch als gerade durchgehen lassen. Du bist also nicht betrunken. Aber.. es gibt eigentlich noch einen anderen Test." Klugscheißer und ins-Wort-Faller, der ich bin und zu wissen meinend, was jetzt kommt, unterbreche ich Dich. Ich bleibe abrupt stehen, schließe die Augen, stelle mich auf ein Bein und führe den Zeigefinger zur Nase. Ich treffe meine Wange und bin nicht ganz zufrieden. Ich weiß, dass Du mich beobachtest. Ich weiß nicht, über was wir die letzten drei Stunden geredet haben. Aber ich weiß, dass ich mich wohl fühle. Ich weiß, wann ich mich naiv stelle (jetzt) und schaue Dich mit großen Augen an. Ich warte darauf, dass Du etwas sagst. Irgendwas.

"Nee nee, das musst Du noch mal machen, das war noch nix!" Ich wiederhole das Prozedere, besser.

"Noch mal, mach' das noch mal. Du musst Dich jetzt mal konzentrieren, Nina! Mach' die Augen zu!" Ich schließe die Augen erneut. Ich bewege meinen Finger zur Nase und meine Gedanken zwischen 'Will er mich eigentlich verarschen, wie oft soll ich das noch machen' und 'Checkt er eigentlich, dass das eine 1A Gelegenheit wäre, mich zu küssen?'. Ich lasse meinen Finger sinken und die Augen geschlossen. Dein Atem streift meine Wange und Deine Lippen die meinen. Mein Herz wird warm und weit, meine Muskeln entspannen sich, in meinem Kopf ist Watte und das ist ein schönes Gefühl. 

 

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Es ist Sonntagabend. Ich sitze im Schneidersitz auf Deinem Sofa, Du links neben mir. Es läuft House of Cards, Season 5. Mein linker Arm um Deinen Nacken, meine Hand ruht auf Deiner Schulter. Du lehnst an mir, Dein Arm liegt auf meinem Knie. Vor mir steht eine Schale mit geschnittenem Pfirsich. Plattpfirsiche, die süßen. Hin und wieder stocherst Du mit der Gabel in der Schale und piekst ein passendes Stück auf. Dein Blick wandert nicht vom Screen, Deine Stirn ist gerunzelt, Du schaust konzentriert. Ich beobachte Dich ohne dass Du es merkst. Ich beobachte Dich gerne - vor allem, wenn Du es nicht merkst. Hin und wieder küsse ich Dich auf die Schläfe, Du rutschst fast unmerklich an mich heran. Zumindest scheint es mir so. In solchen Momenten trete ich manchmal  aus der Situation heraus und betrachte uns so möglich es mir von außen ist. Ein Teil dieses betrachtenden Ichs ist gerührt von der alltäglichen Vertrautheit der Situation in Anbetracht der Zeit, die wir uns kennen. Und "kennen" ist zu viel gesagt. Zeit, die wir von der Existenz des anderen wissen und regelmäßige alle möglichen Aktivitäten, Gespräche und Gedanken, die wir teilen, anhand derer wir uns bit by bit entmystifizieren. Gefühle teilen wir noch nicht so viele. Und nun ist da der andere Teil des beobachtenden Ichs, der uns beide fragen würde, was wir sind, was wir füreinander sind, was wir uns vorstellen können zu werden. Die Nina, die dann wieder auf dem Sofa sitzt, möchte weder die Situation, noch die Sorglosigkeit unserer Zeit noch die Waagschale, in die Emotionen und Hoffnungen geworfen werden können, überfrachten. Sie mag das unbeschwerte Jetzt gerne ein bisschen festhalten, will, dass es so bleibt, wie es genau in diesem Moment ist. Sie mag nicht darüber nachdenken, es könne for whatever reasons vielleicht nicht funktionieren, es könne wieder richtig wehtun. Muss sie auch nicht. Und deswegen würde sie antworten: Wir können alles sein, Baby!

 

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[Mein Track nach dem Text: The Chainsmokers - "Roses (feat. ROZES)"]

 

 

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