#MeToo: Ich auch - Teil I

Unter dem Hashtag #MeToo posten seit etwa 2 Wochen weltweit Millionen von Frauen in sozialen Netzwerken, dass und teilweise wie sie Opfer männlicher Sexualität geworden sind - wie sie angemacht, angegrapscht, entwürdigt, vergewaltigt wurden.

Jede Frau mehr, die gesteht, dass auch sie schon mal von sexuellen Übergriffen betroffen war oder ist, verstärkt den Eindruck, das geschehe a) überall und b) viel häufiger als man denkt. Scheinbar so alltäglich, dass sich bisher - wenn überhaupt - im Individuellen darüber geäußert wurde, selten jedoch wie jetzt im Kollektiv. 

Auslöser war bekanntermaßen die Enthüllung um Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, der offenbar jahrzehntelang seine Machtposition ausgenutzt hat, um vor allem Schauspielerinnen zu missbrauchen. Am Anfang habe ich sämtliche Artikel dazu ignoriert, weil ich dachte: sexuelle Gewalt ist Alltag, das wird jetzt auch nicht mehr sein als früher und überhaupt Klischee "alter Sack vergreift sich an jungen, unterlegenen Frauen" erfüllt. Je mehr ich dazu lese, desto mehr möchte ich mich für meine anfänglich sehr eindimensionale Haltung in den Hintern beißen. Denn die greift nicht mal in Ansätzen die Vielschichtigkeit des Problems.

 

 

 

Mir hat niemand gesagt, dass ich ein Idiot bin

Der Journalist Christian Gesellmann hat in einem Essay vor Kurzem darüber geschrieben, wie er als Mann über die #MeToo-Debatte denkt. Für viele gilt er plötzlich als Vorzeige-Feminist - und das aus meiner Sicht mit Recht - selbst wenn er nach eigenem Bekunden bisher nie etwas mit Feminismus am Hut hatte.

Ihm gelingt es, im genau angebrachten Ton die Wahrheit darin zu beschreiben, dass das Problem unter Männern nie angesprochen oder diskutiert wird, dass er Zeuge übergriffiger Situationen geworden ist und dass er sich selbst (vor allem in pubertärem Alter) in frauenverachtender Weise geäußert hat.

 

 

"Wir wollen stark sein und sind in Wahrheit oft herablassend.

Wir wollen potent sein und sind in Wahrheit oft belästigend.

Wir denken, wir lieben, und verstehen nicht,

dass es keine Liebe ohne Respekt gibt."

 

 

Dass er seinen Kumpels oder jedenfalls den Tätern jedoch nie gesagt hat, dass sie Idioten sind, wenn sie Frauen angrapschen, über sie wie über Sexobjekte sprechen oder darüber, dass sie deren Notsituationen ausnützen würden, um "einen wegzustecken". Dass ihm selbst niemand gesagt hat, dass er ein Idiot ist.

Gleichzeitig ordnet er das Ganze in den Kontext unserer kulturellen Prägung ein, die wie er schreibt "in unserer Gesellschaft leider zu Ungunsten der Frauen ausgefallen ist". Der abschließende Punkt ist ihm dennoch wichtig: Wir können etwas daran ändern. Und Frauen können Männern öfter sagen, wenn sie Idioten sind.

 

 

Wo ist die Grenze zwischen Kompliment und Sexismus?

Diese Frage habe ich mir tatsächlich schon früher des Öfteren mal gestellt, z.B. als es vor 3-4 Jahren unter dem Hashtag #Aufschrei um die Aussage eines Politikers ging, dass eine Journalistin "ein Dirndl schon ausfüllen" könne. Da habe ich mich gefragt, wer das jetzt entscheiden darf, wie etwas gemeint ist. In diesem Fall bin ich mir nämlich fast sicher, dass es als Kompliment gemeint war. Okay war es aber trotzdem nicht, es war sexistisch.

Jana Weiss, ebenfalls Journalistin dröselt das "Wer also darf sagen, was Sexismus ist und was nicht?" in ihrem Artikel in mehrere Fäden auf. Da ist z.B. die Zeit, in der wir leben, die vermutlich aktuell für sämtliche in diese Richtung gehenden Töne sensibler sein wird als beispielsweise in den 70ern. Die Gewöhnung daran, dass wir vielleicht auch selber unbewusst Sachen sagen, die genau genommen unter Sexismus fielen - unbemerkt und unbeabsichtigt. Daran, dass wir sexistische Bemerkungen von anderen gar nicht als solche wahrnehmen, weil wir nie darüber gesprochen haben, wie genau sich Sexismus definiert.

 

 

"Dinge, die ich ständig höre. Die ich aber auch ständig selbst sage.

Erfahre ich also permanent Sexismus, ohne es zu wissen?

Bin ich selbst sexistisch, ohne es zu wollen?"

 

 

 

Dass der Altersunterschied und das Machtverhältnis eine fast ausschlaggebende Rolle spielen, ist glaube ich klar. 

Als ich vor Kurzem mit meinen Eltern darüber gesprochen habe, habe ich ins Spiel gebracht: mein eigenes Empfinden. Wenn ich eine Formulierung als unangebracht, demütigend, schmierig empfinde oder eine bestimmte Berührung als unangenehm, so müsse dies ebenfalls unter Sexismus fallen. Problematisch dabei: was für mich das Überschreiten einer Grenze bedeutet, muss es nicht für eine andere junge, weiße Frau auch bedeuten. Und ich muss benennen, dass ich als Betroffene in diesem Moment eine junge, weiße Frau bin, denn Alter und Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit (in diesem Fall eben nicht, weil ich nicht schwarz bin) machen es im Zweifelsfall noch schlimmer.

 

Eine wirkliche Antwort, wem die Definitionshoheit in dieser Frage zusteht, gibt es vermutlich nicht. Fakt ist jedoch, dass eine Debatte, in der es anfänglich auch um Vergewaltigungsfälle ging, sich zu einer entwickelt, in der manchen Menschen nicht passt, was und wie andere Menschen etwas gesagt haben. Hier kann es emotional werden, Teile der Gesellschaft werden über die Empfindlichkeit gegenüber dem, was als sexistisch empfunden wird oder die Ignoranz und Abgestumpftheit, dessen was es nicht ist, irritiert sein. Fakt ist auch, dass Menschen, die sich in ihrer Vergangenheit aufgrund ihres Bildungsstandes nie mit Geschlechterverhältnissen beschäftigen konnten oder haben, plötzlich teil eines Diskurses werden können, der sie zu Schuldigen macht - den sie aber vielleicht gar nicht im Grundkern nachvollziehen können: wie kann eine junge Frau schockiert darüber sein, "jung" und "schön" genannt zu werden?

Und was die Grenze zwischen Kompliment und Sexismus betrifft, so hilft vielleicht Oscar Wilde, der gesagt haben soll, Komplimente seien wie Parfum: "sie dürfen duften, aber nie aufdringlich werden." 

 

 

 

 

 

Christian Gesellmann, #metoo Ich auch (Oktober 2017)

Jana Weiss, Höflichkeit ist kein Sexismus (Oktober 2017) 

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