„Ich hatte einfach nicht das Bedürfnis, mich bei Dir zu melden.“
Schon bei diesem Satz, bei diesen elf Worten in 51 Buchstaben hätte ich begreifen müssen. Begreifen müssen, was ich nicht wahrhaben wollte. Ich hätte mich selbst verstehen lassen sollen, dass meine verklärte Hoffnung von einer zumindest halbwegs emotional gespiegelten Verbindlichkeit nicht Wirklichkeit werden wird. Egal wie lange ich gewartet, egal wie sehr ich mich den doch vorhandenen Deltas zwischen Deinem und meinem Leben angenähert hätte - eine gemeinsames hätte es nie gegeben.
Denn: es gab kein Uns. Das „Uns“ war eine täuschend lebendig aussehende Totgeburt, deren Existenz geendet hatte, lange bevor sie überhaupt begann. Und weil ich mich so sehr davor fürchtete, diese Realität rechtzeitig zu akzeptieren, den Schmerz in mir zu beweinen und Dich gehen zu lassen, klammerte ich mich wochenlang an diese Nichtbeziehung, die ich mir mit einem „Wir“ auf der Tonspur und manchmaligem Händchenhalten und wenigstens einmal täglicher Kommunikation schönredete in etwas, was „ja noch hätte werden können“.
„Ich brauche eben Zeit, bei mir ging das nie so schnell, dass ich mich verliebe“ hast Du gesagt.
„In ein paar Monaten sind wir zusammen und ich habe die gleichen Gefühle für Dich wie Du für mich“ wollte ich hören.
Heute schaffe ich es endlich, Dir nicht zu glauben. Du hättest Dich einfach nur nie in mich verliebt. Diese Erkenntnis ist verletzend. Sie hat mein sorgsam errichtetes Kartenhaus umgefegt, eingerissen, im freien Fall, unumkehrbar. Sie hat eine Delle in mein Selbstbewusstsein als Frau gehauen, dass ich für einen bestimmten Mann nicht reiche. Es ist okay, ich kriege diese Delle auch wieder raus. Aber Du, vielleicht verliebst auch Du Dich irgendwann mal von einer Sekunde auf die andere und brauchst keine Zeit oder Dein Herz gibt Dir gar keine, weil Dich ein Mensch einfach so umhaut. Dann kannst Du vielleicht nachvollziehen wie es mir ging mit Dir.
„Ich weiß nicht, wie es mir gehen wird, wenn ich Dich ab jetzt nicht mehr sehen kann“ hast Du gesagt.
„Ich hoffe, dass es mir langfristig besser geht, wenn ich Dich ab jetzt nicht mehr sehen muss“, habe ich geantwortet.
Bis zum Ende des Jahres hatte ich Dir geben wollen. Doch Ende September war ich ein Wrack. Die anfänglich pure Begeisterung für Dich als Mensch und für Deine Art mit mir umzugehen, hat sich im Lauf der Zeit einen Antagonisten zugelegt: eine nagende, unbefriedigende Gefühlsmixtur aus Angst, Dich zu verlieren, Eifersucht auf die 6 ½ Tage in der Woche, in der wir uns nicht sehen, grundlagenlosem Hoffen, Du mögest Dich für mich entscheiden und Wut über Deine fehlende Sehnsucht, Dich bei mir zu melden.
Wie die Wochen vergingen kippte das Verhältnis der beiden in eine Schieflage, mit der es mir immer öfter nur noch schlecht ging, als dass sie mich glücklich gemacht hätte. Ende September hatte ich für das Gefühl, das ich mit Deinem Namen verband nur noch Tränen übrig. Ich rettete mich herüber bis zum Tag der Deutschen Einheit und redete meinem Herz und meiner Würde gut zu, dass wir jetzt zu dritt die Reißleine zögen. Die beiden schauten mich ungläubig an, hatte ich doch in den letzten Monaten entgegen aller Selbstfürsorge so viel von ihnen genommen.
„Hattest Du bei mir das Gefühl, dass ich der Richtige hätte sein können?“ hast Du gefragt.
„Ich weiß es nicht. Es ist schwer, das Gefühl in sich zu nähren, jemand anderes, den man unfassbar toll findet, ist der Richtige, wenn der Dich permanent auf Armeslänge Abstand hält“, habe ich geantwortet.
Was ich meinte, war: so einfach ist das Leben nicht. Es gibt viele Richtige, mindestens aber für eine Person mehr als einen. Für mich warst Du einer von ihnen. Aber das habe ich Dir nicht gesagt.
Anfangs hielt ich das für absurd. Wie kann etwas so Kurzes mich so sehr verletzen? Der Grund ist: Es geht gar nicht nur um das, was wir hatten. Das, was so sehr schmerzt, dass ich es körperlich spüren konnte, ist die Vernichtung der Vorstellung, was wir hätten sein können.
„Bereust Du die Zeit mit mir?“ hast Du gefragt.
„Nein. Niemals. Ich habe Verliebtheit gefühlt und ich habe viel gelacht, ich habe viele der Momente genossen. Ich weiß, dass man für Liebe Risiken eingehen muss und dass man bisweilen sehr verletzt wird. Aber müsste ich mich entscheiden, ob ich Dich noch mal in der U-Bahn anspreche mit dem Wissen, wie das Ganze heute endet, ich würde alles noch mal exakt genauso machen."
Du bist nicht mehr da. Also schon noch, aber nicht bei mir. Aber das warst Du ja eh nie, wenn ich ehrlich bin. Ich habe Dich stehen lassen, gerade weil ich Dich so toll fand. Eigentlich finde, denn die Gründe, warum man jemandes Art schätzt, lösen sich ja nicht in Luft auf. Ich habe Dich stehen lassen, weil es nach meinem ersten alles initiierenden der letzte Akt der Selbstbestimmtheit sein musste, den ich für mich beanspruchen konnte. Mit mir hat es begonnen, mit mir lasse ich es auch enden.
Ich fühle mich so stark darin gegangen zu sein, so stark darin, mich nicht bei Dir zu melden, so stark darin, wie ich mit den Tränen, die immer noch manchmal kommen umgehe, so stark darin zu wissen, dass mir jemand anderes das geben wird, was Du nie hättest können.
Deine Nummer habe ich immer noch nicht gelöscht. Gleichzeitig würde ich mir eher einen Finger abhacken, als Dich anzurufen. Dabei mag ich Dich noch immer, Mann in Chucks, Peter Pan. Und ich bin mir gar nicht mal so sicher, ob ich von Liebe zu Dir wirklich weit entfernt war. Vermutlich nicht.
Heute glaube ich trotzdem: ich habe alles richtig gemacht. Ich bin gegangen. Ich mache alles richtig. Ich vermisse dich. Noch ein bisschen. Noch eine kleine Weile. Bis es sich wieder ganz leicht anfühlt und mein Herz sich die restlichen Fasern zurückerobert hat, die ich Dir gegeben habe. Im Gleichtakt schlägt es zum Glück schon wieder öfter.
Ich finde nämlich, Liebe sollte sich unbedingt und immer ganz unbeschwert und gleichtaktig anfühlen.
Teile dieses Textes entstammen dem Artikel "Tarnfarben der Liebe", erschienen am 10. November 2017.
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