"Sind Sie Beraterin?" Ich schaue von meinem iPhone hoch. "Ob ich was bin?" "Beraterin." "Gott bewahre, nein. Ich bin keine Beraterin. Wie kommen Sie denn darauf?" "Sie kommen doch von einer Geschäftsreise, oder?" "Ja, schon, aber es ist doch Dienstagabend. Die meisten Berater fliegen donnerstags zurück. Das wäre mir auch eh viel zu stressig." Ich wende mich wieder meinem iPhone zu.
Es ist Dienstagabend gegen 23 Uhr, ich sitze im Taxi vom Flughafen zurück, 2 Tage Münster liegen hinter mir. Generell liegt ein durchgetakteter, arbeitsintensiver Januar hinter mir, in dem ich nach relativ kurzer Zeit so viele Projekte und damit verbundene To Dos angehäuft habe, dass ich schon jetzt kaum noch drüber schauen kann. Sodass 12 Stunden Tage durchaus vorkommen. Entsprechend komme ich weder viel zum bewussten Nachdenken noch zum Schreiben - weder das eine noch das andere aber sollen eine Entschuldigung dafür sein, dass ich schon wieder einen Monat lang nichts von mir habe lesen lassen.
Dabei habe ich eigentlich viele Gedanken. Viele Worte und Empfindungen, die mich umtreiben, die sich aber weder auf ein übergeordnetes Thema noch auf eine Anordnung in Sätzen einigen können und es so bis heute nicht schafften, bis zu meinen Fingerspitzen fließen zu wollen. Nicht mal jetzt, beim Tippen endlich, bin ich mir sicher, dass das am Ende alles zum Ausdruck bringt, zu was sich meine Synapsen mal mehr, mal weniger stabil verknüpfen.
Etwas, was mich mal wieder beschäftigt ist das Phänomen der subjektiv rasenden Zeit. Ich habe schon einmal (hier) darüber geschrieben, aber eben jetzt finde ich es wiederholt und präsent erschreckend. Gerade noch war es ein frisches Jahr, erste neue, unbeschadete Tage - doch wie nach einmal Blinzeln ist der Januar vorbei. Der Januar, der über 5 Wochen dauert und so eigentlich viel länger erscheinen müsste, ist vorbei gehuscht, kaum sichtbar, greifbar oder erlebbar. Die ersten 31 von 365 Tagen, die ersten 5 von 52 Wochen, der erste ganze von 12 Monaten. Es ist nicht der BWLer in mir, eher der Laufbandläufer, der eine Affinität dazu hat, Dinge in abgelaufenen Prozentzahlen zu quantifizieren. Je nachdem, welche Einheit man also bemüht, sind bereits fast 10% des Jahres schon wieder vorbei.
Ich weiß nicht, warum die Zeit gerade für mich so sehr flieht, während andere das "die Zeit rast" nur unbeeindruckt abnicken. Angst ist vielleicht das falsche Wort, aber ich habe die Sorge, dass ich eines Morgens aufwache und mein Leben ist vorüber. Mich sorgt, dass ich nicht mehr all das machen kann, was ich doch noch erleben möchte, dass ich die Momente, die mich bewegen und die pures Leben sind, nicht festhalten kann. Dass ich nur dieses eine Leben habe und dass es vielleicht viel zu kurz sein könnte. Es sind für einen relativ jungen Menschen eigentümliche Besorgnisse - bin ich doch nicht unmittelbar mit der Endlichkeit meines Daseins konfrontiert, wie jemand Altes oder unheilbar Krankes.
Nun gibt es für diese Gedanken keine Linderung oder gar Lösung, aber ich will es trotzdem mal versuchen: das bedauerlichste finde ich tatsächlich, wenn man gar nicht mehr genau weiß, womit man seine objektiv viele Zeit überhaupt verbringt. Tage fließen an einem vorbei, Montag bis Freitag sind manchmal ein Kampf, das Wochenende gerade lang genug, um seine über die Woche angesammelten Angelegenheiten zu ordnen und gerade kurz genug, um in seinen 4 Wänden keine beginnende Depression zu kultivieren. Ich habe mir daher mal wieder ein unprätentiöses Word-Dokument angelegt namens "Keeping track of my year", in das ich mir alles mit notiere, was nur minimal von alltäglichem Aufstehen - Sport - Arbeit - Schlafengehen abweicht - im Guten wie im Schlechten. Ich weiß nicht, ob es mir helfen wird, die Momente mehr festzuhalten, Zeit weniger schnell vergehen zu lassen, mehr zu erleben anstatt zu verleben. Aber einen Versuch ist es wert. Und ein kleiner Auszug meines Januars liest sich also wie folgt:
3. Januar: Kino „Star Wars – The Last Jedi“
6. Januar: Geburtstags-Nachfeier im Herzog mit Anja, Andy, Philip und Matthias
14. Januar: kochendes Wasser über die Hand gegossen
17. Januar: Telefonat mit Axel (nach über 1 Jahr endlich wieder!)
Ein weiterer Gedankenfaden betrifft die Ausrichtung des Blogs. Wer meinen Blog im vergangenen Jahr verfolgt hat, wird wahrgenommen haben, dass ich doch den ein oder anderen sehr nachdenklichen, sehr emotionalen und ja, weil es so ist, auch sehr schmerzenden Text verfasst und hier geteilt habe. Ein ehemaliger Kommilitone schrieb mir unter Anderem dazu: "Gefühle sind doch alle doof. Bewundernswert, dass du das alles so abstrakt betrachten kannst". Und das hat mich sehr ins Nachdenken gebracht, denn das ist nicht die Botschaft, die ich hier vermitteln will.
Was ich eigentlich meine ist, dass es viele verschiedene Gefühle gibt und dass alle ihre Berechtigung haben, gefühlt zu werden. Dass man für Liebe riskieren muss verletzt zu werden (und es auch wird), aber dass es das wert ist - immer. Dass uns nur unsere Gefühle lebendig machen (sogar die doofen) und dass ich lieber die Hochs möchte und die Tiefs nehme anstelle einer horizontalen Gerade auf stabilem Mittelniveau. Vor kurzem habe ich ein Zitat gelesen, das fand ich sehr treffend: "nobody queues for a flat rollercoaster".
Und Jule, Gründerin des Online-Magazins im gegenteil, das im letzten Jahr ein paar meiner Texte veröffentlicht hat (Yay!), schrieb mir zu einem: "Ach, der ist schön. Schön traurig. Aber du machst das schon alles richtig. Fühlen ist anstrengend, aber auch geil."
So what also? Natürlich höre ich nicht auf, emotionale Texte zu schreiben - darin liegt mein Talent und viele von ihnen sind schriftstellerisch sehr gut. Natürlich schreibe ich hier weiterhin über Dinge, die an mich persönlich gehen und die real sind - authentischer content also. Und natürlich können wir nicht direkt beeinflussen, mit welchen Situationen das Leben uns und unser Seelenheil herausfordert. Aber an der Ausgewogenheit der Darstellung kann ich arbeiten und daran, (noch) mehr von den schönen Emotionen und Momenten hier aufzubereiten - in denen man sich unendlich geliebt oder nur über ein Gespräch so unheimlich verstanden fühlt, in denen man so sehr lacht, dass man weint, in denen das Herz schneller klopft. In denen man spürt, dass man lebt eben, in denen man den Moment fest- und die Zeit anhalten will, weil sie so schön und besonders ist..
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