Vor ein paar Wochen habe ich mich kurz geärgert. Bevor ich mich geärgert habe, war ich überrascht, irritiert, verständnislos und mitleidvoll – ungefähr in dieser Reihenfolge. Zwischendrin mag ich auch mal völlig irre gelacht haben. Dann aber habe ich mich nur noch geärgert. Mittlerweile ist da wieder nichts mehr.
Menschen, mit denen wir über eine gewisse Zeit auf welche Weise auch immer, aber einigermaßen intensiv verbunden sind, hinterlassen in uns immer ein Gefühl - auch wenn wir schon lange nicht mehr mit ihnen sprechen oder das Gefühl wirkungsvoll verdrängen. Ein Gefühl, das wir hatten, wenn wir mit ihnen zusammen waren, das sie uns gaben, das wir mit ihrem Gesicht oder ihrer Stimme verbinden. Mit den Jahren verblasst dieses Gefühl dann immer mehr bis es - wenn alles glatt läuft - schließlich sanftmütige Gleichgültigkeit erreicht. Diese triumphal errungene Gleichgültigkeit ist sehr oft aber sehr harte Arbeit und zwar geschuldet der Tatsache, dass wir in unserem track record durchaus auf eine ansehnliche Menge an Tränen, Schmerz, Sehnsucht, Streit und nicht übereinstimmenden Erwartungen verweisen.
Um die am meisten durchdrungene Metapher zu bemühen, wäre es die einer Wunde, die irgendwann zu einer Narbe wird und ganz irgendwann sogar ihren Hautton angleicht, sodass wir nur noch sehen, dass sie da ist, weil wir wissen, dass sie da ist. Tatsächlich finde ich aber das Bild, mit beiden Füßen wieder fest auf dem Boden zu stehen, ein viel Schöneres und weniger abgegriffen – wenngleich es der passierten Verletzung keine Rechnung trägt. Aber wir wissen eh, dass die Kratzer und Dellen und Schnitte und Brüche nicht äußerlich sichtbar sind – selbst, wenn sie sich manchmal so anfühlten. Mit beiden Füßen also wieder auf dem Boden zu stehen, unumkippbar, mit jedem Nerv in den Fußsohlen jedes Sandkorn, jedes Stück Erde, jedes Atom Boden zu spüren, eine Verbindung einzugehen, in perfekter 180-gradiger Balance, die uns niemand nehmen kann. Das ist Gleichgewicht, das ist Gleichgültigkeit, die auf das Taumeln, das Stolpern, den weggezogenen Boden und die gefühlte Einbeinigkeit folgt.
Warum habe ich mich also geärgert? Warum war ich überrascht, irritiert, verständnislos, mitleidvoll? Und warum war sich kurz ärgern, bevor ich zu meiner Yoga-Pose des ausgeglichenen Standes zurückkehrte das einzig richtige?
Ein nicht unerheblicher Teil der Texte in den Jahren 2017 und 2018 – es waren insgesamt 9 Stück, ich habe sie gerade gezählt – beschäftigt sich mit jemandem, den ich „Peter Pan“ oder „Den Mann in Chucks“ nenne. Unser letzter Kontakt, nachdem wir den zweiten und letzten Versuch miteinander erfolgreich gegen die Wand gefahren hatten und wir uns um der schönen Zeiten willen, wilde Dinge per Whatsapp an den Kopf warfen, war meine Nachricht, dass er einfach ein „Idiot“ sei und dass ich seinen „negativen Shit hart nicht vermissen würde“. Das war Ende Juli 2018. Wie habe ich geschaut, als ich vor 4 Wochen eine Nachricht romanartiger Länge bekam von einer Nummer, die ich längst gelöscht hatte. Das war der Moment der Überraschung. Der Moment der Irritation folgte, als man mich um mentale Unterstützung bat, eine gerade gescheiterte Beziehung emotional zu verarbeiten, da ich mich ja bestens mit Sehnsucht, Liebe und Kummer auskenne. Ja, er erkenne vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Vergangenheit durchaus die Ironie. Meine Verständnislosigkeit speiste sich unter anderem aus der Frage, welcher seiner Freunde ihm geraten haben könne, mich, ausgerechnet mich, um Rat zu bitten. Mein kurzer Moment des Mitleids – er war wirklich sehr kurz, aber ich möchte ihn nicht verschweigen – überkam mich, als ich mich daran erinnerte, wie sehr gebrochen, wie sehr emotional unnahbar und wie phobisch dieser Mann vor 2 Jahren auf Nähe, Verletzbarkeit, Verbindlichkeit reagierte und wie tief der Grund dafür sitzen muss, wenn es bis heute einfach nicht besser wird.
Ab welchem Punkt aber habe ich mich geärgert? So richtig geärgert habe ich mich, als mir klar wurde, dass das hier die einzig logische Fortsetzung eines selbstverletzenden Umgangs mit mir werden könnte, den ich über ein Jahr lang praktiziert hatte. Toxische Menschen ändern sich nicht, es ist an uns, das zu erkennen, zu akzeptieren und selbst unsere Grenzen zu ziehen. Toxische Menschen sind oft egoistisch, es geht um ihr Leben, ihr Wohlbefinden, ihre Bedürfnisse. Gehen jemandes anderen Bedürfnisse dabei vor die Hunde, sie merkten es kaum. Zu guter Letzt: wie viel Zeit meines Lebens kann ich jemandem widmen? We meet people for a reason, either they’re a blessing or a lesson. Meine lesson dauerte 1 Jahr, sie war insgesamt ziemlich schmerzhaft, aber oder gerade deswegen auch ziemlich lehrreich.
Und das hier am Ende reflektiert nur geringfügig, was ich im Kern und in seiner emotionalen Tonalität als Ratschlag geben kann: Es steht literally alles, was ich zum heutigen Tage zu den Themen Sehnsucht, Liebe und Kummer sagen könnte und werde im fucking Internet. Lies meinen Blog, meine Texte, wenn Du wissen willst, wie es mir mit Dir ging, was man tun kann und wenn das nicht reicht, lies sie noch mal und dann noch mal und noch mal. Der Weg zur Gleichgültigkeit ist lang und hart, er erfordert unkonventionelle Ansätze der Ablenkung, der Konfrontation und der Neuorientierung und er erfordert Geduld und Zuversicht und Mut. Ich bin weder Therapeut noch in solchen Themen ausgebildet, aber so viel habe ich mit Ende 20 offensichtlich verstanden.
Stark gekürzt und wenig überraschend endete der Sachverhalt darin, dass ich mich gegen ein Treffen entschied. Du warst meine lesson, aber irgendwann muss es auch mal gut sein.
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„Gibt es Deinen Blog überhaupt noch? Du hast ja Ewigkeiten nichts mehr richtiges geschrieben.“
Tja, was soll ich sagen. Ich habe eine Schreibblockade. Ganz offensichtlich. Quell meiner Inspiration bezog ich in den letzten Jahren vornehmlich aus Herzschmerz, Angst oder Traurigkeit – gänzlich uneitel kann ich trotzdem sagen, dass das einige meiner besten und als einziges auch abseits des Blogs veröffentlichten Texte wurden. Und warum schrieb ich insgesamt so viel über diesen einen Menschen und heute zum letzten Mal immer noch? Es ist meine Form der Therapie, frei heraus zugegeben und ein bisschen stolz wie gut sie funktioniert. Ich schrieb, dass wir an manchen Gleichgültigkeiten viele Jahre arbeiten und soweit ich an dieser schon gekommen bin, so sehr tue ich das noch immer.
Warum schreibe ich so gut wie nichts über meine Beziehung? Weil sie in mir keinen Schmerz, keinen Ärger, keine Unzufriedenheit zeugt, weil in mir keine Traurigkeit, Sehnsucht oder Angst und nichts Unausgesprochenes ist, das in meine Finger fließt. Meine Texte würden eine unaufhaltsame Überflutung an so gefühlter Kitschigkeit, ich könnte nicht garantieren, dass nicht die Begriffe „Schicksal“, „Magie“, „Glück“, „Seelenverwandter“ oder „perfekt“ fielen. Begriffe, die selbst bei mir ohne Bedeutung in ihrer reinen Aneinanderreihung eher Brechreiz statt Bewunderung hervorrufen.
Ich stehe also mit beiden Füßen auf dem Boden, unsere Beziehung brächte kein Wind, kein Mensch, keine Laune aus dem Gleichgewicht und dabei gedenke ich es an Kommentar für den Moment zu belassen.
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